„Märchen sind schon mein Leben lang wichtige Begleiter“, erzählt Susanne Gruber. Ihr Vater und ihre Großmutter lasen vor und erzählten sie ihr. „Irgendwann habe ich begriffen, dass ich das auch kann.“ Als sie selbst ein Kind bekam, entwickelte sich diese Gabe weiter, bis sie während der Ausbildung und mit zunehmendem Alter ihres Kindes allmählich einschlief – aber nicht für immer.
In ihrer Praxis begegneten der Logopädin immer wieder sprachlose Kinder. „Ich habe gemerkt, dass es ein Schlüssel sein kann, wenn ich Märchen erzähle. Ich bekam Zugang.“ Sie schnitt die Märchen individuell für ihre kleinen Patienten zu und ließ die Kinder miterzählen, sodass daraus eigene Geschichten wurden. Bis 2022 arbeitet sie in ihrem Beruf. Ab 20216 rückte das Erzählen immer mehr in den Vordergrund. Sie erzählte in Altersheimen, bei Geburtstagen und schließlich reifte die Idee, es auch öffentlich zu tun. Zu diesem Zeitpunkt belegte sie Kurse und lernte Erzähltechniken. Außerdem erfuhr sie Details über die Symbolik, denn Märchen sind im Grunde Bildgeschichten. „Heute haben wir häufig keinen Zugang mehr zu diesen Bildern. Wir verstehen sie einfach nicht mehr“, weiß sie. „Früher war beispielsweise der Brunnen nicht nur ein Brunnen, der uns das nötige Wasser spendet. Er war ein Symbol für den Weg in eine andere Welt oder in die Welt der Ahnen. Unsere Vorfahren konnten diese Bilder noch lesen.“
Seit vergangenem Sommer hilft Susanne Gruber dieses verschüttete Wissen neu zu entdecken. An jedem letzten Freitag im Monat lädt sie in ihren „Erzählraum Märchen“ in die gute Stube des Staudenhofs ein. Dann übernehmen Heldinnen und Helden, Könige und Zauberer und manchmal auch Froschkönige die Hauptrollen. Besonders liegen der Erzählerin die Volksmärchen am Herzen. Die Märchen der Inuit und sibirische Märchen sind ihr am liebsten. „In einer vermeintlich einfachen Sprache verbergen sich unglaublich bunte Welten. Sie haben oft etwas sehr Ursprüngliches, das mich begeistert.“ Die Suche nach neuen Schätzen endet nie. Sie forscht und recherchiert zu Bildern, taucht tief in die oft vielschichtige Symbolik ein. Und wenn ein Märchen sie berührt, erzählt sie es. Ihre Zuhörer lauschen gebannt bis zum Ende. Dann wird über Symbole und Mythen gesprochen. Das ist natürlich kein Muss, sondern ein Angebot. Es darf auch nur zugehört werden. Meist entwickelt sich aber ein reger Austausch untereinander. „Märchen machen mit jedem etwas anderes, jeder hat andere Bilder im Kopf und in jedem rührt es etwas anderes an“, erklärt sie. „Aber allein, dass wir gemeinsam hier sitzen und uns austauschen, hat eine heilsame Wirkung auf uns. Das macht Märchen aus.“
INFO
„Erzählraum Märchen“ im Staudenhof Kulturgarten
nächste Termine: 25. April, 16. Mai, 20. Juni jeweils 14:30 Uhr